Freitag, 11. November 2011

Heiligabend im Backshop

An diesem Heiligabend war Jannika in Eile. Sie hatte bis Punkt zwölf Uhr in der Sparkasse gearbeitet und nun, kurz nach halb eins, noch eine knappe halbe Stunde Zeit, um drei Geschenke zu besorgen. Immerhin wusste sie schon genau, was sie ihrem Mann und ihren zwei Kindern schenken wollte - das unterschied sie von Hunderten anderen Menschen, die mit ihr durch die Fußgängerzone strömten und noch 30 Minuten Zeit bis Ladenschluss hatten.

Sie hatte einen Riesenhunger, denn für ein Frühstück war heute Morgen keine Zeit mehr gewesen, der Tannenbaum musste ja noch geschmückt werden. Also steuerte sie auf einen kleinen Backshop zu und reihte sich in die Schlange ein. Als sie nach drei langen Minuten, die Uhr tickte, auf ein mit Käse und Schinken belegtes Baguettebrötchen zeigte, sagte sie nur kurz: "Das da bitte", und begann, in ihrer scheinbar unendlich großen Tasche nach der Geldbörse zu suchen.

"Da is Schwein drin." - Jannika pflügte durch ihre Tasche, sie hatte die Geldbörse immer noch nicht in der Hand. "Da is Schwein drin!" - "Wo hab ich das Ding denn schon wieder hingesteckt?", dachte Jannika noch immer suchend. "ICH - SAGTE - DA - IS - SCHWEIN - DRIN!" bellte die Verkäuferin nun mit einer Vehemenz und Lautstärke, als wolle sie die ganze Stadt informieren. Jannika schaute nun endlich zur Verkäuferin, die Geldbörse in der Hand, und fragte freundlich, aber etwas verwirrt zurück: "Und?"

"Ich dachte, ihr Türken esst kein Schwein!", antwortete die Verkäuferin, jetzt wieder etwas leiser. "Entschuldigung", sagte Jannika, "ich bin keine Türkin, ich bin aus Rumänien. "Im gleichen Moment schämte sie sich, weil sie sich rechtfertigen musste, KEINE Türkin zu sein. "Die sehn ja auch alle gleich aus", hörte Jannika eine Männerstimme von hinten in der Schlange. Sie drehte sich um, es war aber nicht auszumachen, welchem Herrn dies gerade aufgefallen war.

In ihren Nacken sagte die Verkäuferin, durchaus in einem interessierten Ton: "Seid ihr da nicht auch alles Islamisten?" Jannika drehte sich wieder zur Verkäuferin. "In Rumänien leben auch einige Muslime, ja, die meisten Menschen sind aber Christen." - "Was tue ich hier eigentlich gerade?", dachte Jannika irritiert.

"Naja, ich hab's ja nur gut gemeint", sagte die Verkäuferin. "Macht zwei zwanzig." Jannika legte das Geld passend auf den  Tresen, nahm die Brötchentüte und fragte noch: "Und welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an, wenn ich fragen darf?"

"Das geht Sie gar nichts an!", kam die Antwort. "Der Nächste bitte."

Jannika ging aus dem Laden. Sie blickte zur Uhr. Noch 15 Minuten.

1 Kommentar:

  1. Ich finde es sehr gut geschrieben Auch musste ich schmunzeln, denn - ich denke - jeder hat schon so eine ähnliche Situation kennengelernt...ohne lange darüber nachzudenken. Gefällt mir sehr gut.

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