Mittwoch, 16. November 2011

Wie immer (für die DIAKONIE)


Wie immer
für die DIAKONIE Hannovers geschrieben
www.diakonie-hannovers.de

2. Dezember, ca. 01:20 Uhr
Wie immer zog er schon im Hausflur die Schuhe aus, schloss sanft die Wohnungstür auf und ging auf leisen Sohlen noch ins Bad, Zähne putzen. Er zog seinen Anzug, der für ihn im Casino ja Arbeitskleidung war, im Wohnzimmer aus und schlich dann ins Schlafzimmer. Sollte sie schon schlafen, wollte er sie nicht wecken. Wie immer aber lag sie noch wach und wartete darauf, dass er von der Arbeit nach Hause kam.
„Und, wie war es heute?“, fragte sie ihn im Halbschlaf. „Na ja, nichts Besonderes.“, sagte er, und kuschelte sich ganz nah an sie heran. „War denn dein ‚Spezi’ auch wieder da?“, flüsterte sie noch, schon halb im Land der Träume. „Na klar, logisch…“, antwortete er, bevor auch er müde die Augen schloss, „ …pünktlich am Ersten - wie immer.“
***
Beide schliefen sofort ein.

2. Dezember, ca. 02:40 Uhr
Wie immer bemühte er sich, so leise wie möglich zu sein, obwohl er völlig betrunken war. Dennoch war es meist so, dass nicht nur sie, sondern auch die Nachbarn im Hause hörten, wenn er nach Hause kam und an der Wohnungstür versuchte, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Er ging ins Wohnzimmer und legte sich so wie er war, noch im Mantel und mit Schuhen, aufs Sofa. Es dauerte nur wenige Sekunden und er schlief.
Wie immer lag sie noch wach und wartete darauf, dass er nach Hause kam. Sie hörte ihn meist schon, wenn er im Treppenhaus war. Anfangs kam er noch ins Bett, und erzählte was vom „nächsten Mal und Aufhören und so“, mittlerweile nicht mehr. Sie brauchte ihn weder zu sehen, geschweige denn mit ihm zu sprechen, um zu wissen: Alles verspielt – wie immer.
***
Die halbe Nacht lag sie noch wach. Morgen würde sie sich Hilfe suchen. Nach 20 langen Jahren.

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